Im Folgenden werden kindeswohlrelevante Entscheidungen dargestellt, um die Notwendigkeit eines permanenten Kindeswohlmonitorings hervorzustreichen.
BVwG 18.03.2022, W180 2240291-1 ua
Abschiebung von Tina nach Georgien
„Eine Rückkehrentscheidung verliert ihre Wirksamkeit, wenn sich die Beurteilungsgrundlagen im Hinblick auf die Interessenabwägung nach Art. 8 MRK (nunmehr iVm § 9 Abs. 2 BFA-VG) maßgeblich zu Gunsten des Fremden geändert haben (vgl. etwa VwGH vom 20.10.2016, Ra 2015/21/0091).“ „Im Hinblick auf die dargestellte fortschreitende Sozialisation der im Bundesgebiet geborenen BF2, insbesondere aufgrund eines dauerhaften und erfolgreichen Schulbesuches, sowie das Überschreiten des grundsätzlich anpassungsfähigen Alters – im Übrigen war nicht das Verhalten der minderjährigen BF2, sondern vielmehr das der BF1 kausal für die Verlängerung der Aufenthaltsdauer – erschien es nicht ausreichend gesichert, dass die bestehende Rückkehrentscheidung betreffend die BF2 zum Zeitpunkt der Abschiebung noch wirksam war.“
„Die Abschiebung der BF2 nach YYYY erwies sich sohin als rechtswidrig, da nicht ausreichend gesichert war, dass die sie betreffende Rückkehrentscheidung zum Zeitpunkt der Abschiebung noch wirksam war.“
Siehe dazu auch ausgewählte Medienbeiträge
https://www.profil.at/oesterreich/kinderabschiebung-der-fall-tina/401865041
VwGH 10.03.2022, Ra 2021/18/0349
FremdenpolizeiG; nach dem Urteil des EuGH 14.01.2021, Rs C-441/19, TQ, muss der betreffende Mitgliedstaat vor Erlass einer Rückkehrentscheidung gegenüber einem unbegleiteten Minderjährigen eine umfassende und eingehende Beurteilung der Situation des Minderjährigen vornehmen und dabei das Wohl des Kindes gebührend berücksichtigen; in diesem Rahmen muss sich der Mitgliedstaat vergewissern, dass für den Minderjährigen eine geeignete Aufnahmemöglichkeit im Rückkehrstaat zur Verfügung steht
VfGH 28.02.2022, E2047/2021 ua
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter betreffend eine Familie von Staatsangehörigen des Iraks; keine Auseinandersetzung mit der Minderjährigkeit der Dritt- bis Siebentbeschwerdeführer vor dem Hintergrund der herangezogenen Länderberichte
„2.2. Bei der Behandlung der Anträge auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind, unabhängig davon, ob sie unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, bei entsprechend schlechter allgemeiner Sicherheitslage zu deren Beurteilung einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen in Bezug auf Kinder Eingang finden, jedenfalls erforderlich (vgl UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Art1 [A] 2 und 1 [F] des Abkommens von 1951 bzw des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 22.12.2009, Rz 74). Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt die Bedeutung der Länderfeststellungen im Hinblick auf Minderjährige als besonders vulnerable Antragsteller hervorgehoben (zB VfGH 8.6.2020, E3524/2019 ua mwN). Dieses Verständnis steht im Einklang mit Art24 Abs2 GRC bzw ArtI zweiter Satz des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern, BGBl I 4/2011, wonach bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein muss (VfGH 2.10.2013, U2576/2012 mit Verweis auf EuGH 6.6.2013, Rs C-648/11, MA ua, Rz 56 und 57). 2.3. Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um eine Familie mit fünf minderjährigen Kindern und somit schon deshalb um eine besonders vulnerable und schutzbedürftige Personengruppe. Nach den UNHCR-Erwägungen (“International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq”, 115) vom Mai 2019 ist bei der Prüfung, ob subsidiärer Schutz zuzuerkennen ist, auf solche besonderen Vulnerabilitäten besonders Bedacht zu nehmen.“
VfGH 07.06.2021, E3553/2020 ua
„Die zum Entscheidungszeitpunkt bereits verfügbare, aber der angefochtenen Entscheidung nicht zugrunde gelegte Fassung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 17.03.2020, die zu Kindern die weiterführende Feststellung enthält, dass Kinder weiterhin Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen seien und auf der einen Seite in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage sowie auf der anderen Seite durch Gewaltakte gegen sie bzw. Familienmitglieder stark betroffen seien, findet aber keine Erwähnung.
In der angefochtenen Entscheidung fehlen Feststellungen hinsichtlich der speziellen Gefährdungslage für Minderjährige im Irak gänzlich. Ebenso wenig erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Tatsache der Minderjährigkeit in der rechtlichen Beurteilung. Damit unterbleibt eine Klärung der Frage, ob den Dritt- bis Siebtbeschwerdeführern im Falle einer Rückkehr in den Irak eine Verletzung ihrer gemäß Art2 oder 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte droht. Damit hat das BVwG sein Erkenntnis im angegebenen Umfang mit Willkür belastet“
BVwG 17.04.2019, I403 2215237-1
“Die minderjährigen Beschwerdeführer stellten am 23.02.2018 und damit noch vor Ablauf ihres aufgrund des diplomatischen Status ihrer Mutter bis zum 28.02.2018 rechtmäßigen Aufenthaltes einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Daher waren die minderjährigen Beschwerdeführer rechtmäßig in Österreich aufhältig und hätte nicht auf Basis des § 52 Abs. 1 FPG eine Rückkehrentscheidung gegen sie ergehen dürfen. Nach § 52 Abs. 4 FPG kann unter bestimmten Umständen auch gegen einen rechtmäßig in Österreich aufhältigen Fremden eine Rückkehrentscheidung ergehen, doch unterließ es das BFA aufzuzeigen, dass eine der Voraussetzungen dafür gegeben ist bzw. ergibt sich darauf aus dem Akteninhalt auch kein Hinweis. Soweit das BFA in den angefochtenen Bescheiden davon ausgeht, dass es wahrscheinlich sei, dass das Verwaltungsgericht die Beschwerden gegen die abweisenden Bescheide im Verfahren über die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG abweisen wird, kann die Behörde nicht der Entscheidung des Gerichtes vorweggreifen, sondern ist der Ausgang der diesbezüglichen Verfahren abzuwarten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben die minderjährigen Beschwerdeführer aufgrund des anhängigen Verfahrens ein Bleiberecht inne.”