In Österreich gilt folgender Grundsatz: “Erwachsene haben Rechte und Pflichten gegenüber minderjährigen Kindern und Jugendlichen. Jedes Kind ist bis zu seinem 18. Geburtstag unter der Obsorge einer oder eines Erwachsenen”.
Diese Aussage trifft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge allerdings nicht zu!
Nachdem unbegleitete geflüchtete Kinder in Österreich angekommen sind und einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, werden sie zunächst in Einrichtungen des Bundes untergebracht, bevor sie in geeignete Jugendquartiere der Länder überstellt werden. Die Unterbringung in den Bundesbetreuungseinrichtungen sollte eigentlich nur wenige Tage bis wenige Wochen dauern, bis die Zuständigkeit Österreichs für das Asylverfahren geklärt ist. Da die Bundesländer aber zu wenige Unterkunftsmöglichkeiten für unbegleitete geflüchtete Kinder bereitstellen, kommt es in den Einrichtungen des Bundes zum Stau! Im Jahr 2022 war die durchschnittliche Wartedauer 131 Tage, also über 4 Monate, wobei der Durchschnitt einen verharmlosenden Wert darstellt, da einige Kinder und Jugendliche 6 Monate und länger in den Bundeseinrichtungen verbringen mussten. Für eine altersadäquate Unterbringung und Betreuung sind diese Einrichtungen nicht ausgerichtet.
Doch eigentlich ist es unerheblich, ob es nun 4 oder 6 Monate sind, weil ein Kind oder Jugendlicher niemals ohne eine obsorgeberechtigte Person und ohne altersgerechte Betreuung sein sollte.
Die Länder sind der Auffassung, dass der Bund für die in den Bundesbetreuungseinrichtungen untergebrachten Kinder und Jugendlichen zuständig ist und übernimmt für sie routinemäßig keine Obsorge. Dadurch kommt es zur Situation, dass für hunderte Kinder und Jugendliche in Österreich kein Obsorgeberechtigter zuständig ist. Damit widerspricht das Vorgehen Österreichs sowohl der UN-Kinderrechtskonvention als auch dem BVG Kinderrechte und natürlich der EU-Aufnahmerichtlinie, die ebenfalls die besondere Schutzbedürftigkeit von unbegleiteten Kindern und Jugendlichen betont. Denn die Sicherheit und bestmögliche Entwicklung des Kindes ist nicht gewährleistet, wenn für eine nicht unerhebliche Zeitspanne niemand dafür zuständig ist, die Interessen des Kindes wahrzunehmen, das Kind zu unterstützen und es, soweit notwendig, zu schützen.
Auch der Bericht der Kindeswohlkommission hat das Problem der mangelnden Obsorge für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge scharf kritisiert und folgende Empfehlung abgegeben: “Die Obsorge für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge soll dringend für ganz Österreich einheitlich gestaltet werden. Die derzeit bestehende Schutzlücke muss geschlossen werden und die Obsorge von Beginn an sichergestellt sein, allenfalls auch im Wege einer vorläufigen Obsorge. Dazu braucht es eine gesetzliche Regelung, ähnlich der für im Bundesgebiet aufgefundene Kinder.“
Österreich stellt mit der gängigen Praxis im internationalen Vergleich ein schlechtes Bild dar. Es gibt keinerlei Bestrebungen die Situation zu verbessern. Konzepte zum Umgang mit Kindern, die vorzeitig Einrichtungen verlassen und „untertauchen“, gibt es derzeit nicht und es fehlt österreichweit an zugänglichen Schutzeinrichtung für Betroffene des Kinderhandels. Damit wird den mit dem Untertauchen verbundenen Risiken – Abhängigkeit von Schleppern und Gefahr, Opfer von kriminellen Gruppen, Ausbeutung oder Kinderhandel zu werden – nicht angemessen Rechnung getragen.
Aktionswochen
Um eine Übertragung der Obsorge an die Kinder- und Jugendhilfeträger für minderjährige Asylsuchenden in den Bundesbetreuungseinrichtungen zu erwirken, werden in der Woche vom 19.6.2023 – 24.6.2023 während einer ersten Aktionswoche Obsorgeanträge für unbegleitete geflüchtete Kinder gestellt. Dazu werden Beratungsgespräche durch Rechtsberater:innen im Vorfeld der Aktionswoche angeboten, in denen versucht wird, Kontakt mit den Eltern im Heimatland aufzunehmen, um den Eltern und unbegleitete geflüchtete Kindern Informationen über Umfang und Verbesserungsmöglichkeiten durch einen Antrag auf Obsorge zukommen zu lassen. Die Kinder- und Jugendhilfeträger werden sich im Sinne des Kindeswohls für Verbesserungen einsetzen. Dies geschieht in Absprache mit den Eltern, sofern sie erreichbar sind.
Während der Aktionswoche werden geschulte Mitarbeiter:innen vor den Bundesbetreuungseinrichtungen in Mariabrunn und Korneuburg anwesend sein, um die unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden bei der Antragstellung zu beraten und zu unterstützen. Nach der Antragstellung werden die Kinder und Jugendlichen im Obsorgeverfahren rechtlich begleitet.
Anschließend werden weitere Aktionswochen für die Bundesbetreuungseinrichtungen in Traiskirchen, Reichenau an der Rax und Finkenstein durchgeführt.
Ziel
Ziel des Projekts ist es, eine Verbesserung für unbegleitete geflüchtete Kinder in Österreich herbeizuführen. Die Anträge sollen auf die Notsituationen der Kinder und Jugendlichen hinweisen und über die Antragstellung bei den Bezirksgerichten eine Übernahme der Obsorge an die Kinder- und Jugendhilfeträger sicherstellen. Das Projekt möchte klarmachen, dass die gängige Praxis unhaltbar ist und nicht im Einklang mit Artikel 1 des Bundesverfassungsgesetzes für Kinderrechte steht. Die Aktionswoche im Juni 2023 wird während des Weltflüchtlingstags stattfinden und soll auch Aufmerksamkeit auf das Problem lenken. Die Aktionswoche soll als Startschuss für weitere Antragstellungen gesehen werden.
Das Projekt wird von einer breiten Plattform an Organisationen unterstützt (in alphabetischer Reihenfolge) amnesty international, asylkoordination Österreich, Caritas, Concordia Sozialprojekte, Diakonie, Don Bosco Sozialwerk, fairness-asyl, Integrationshaus, Kinderfreunde, Netzwerk Kinderrechte, Österreichische Liga für Menschenrechte, SOS Kinderdorf, SOS Mitmensch, tralalobe.
Videos
Wir haben Informations-Videos zum Thema Obsorgeantrag in den wichtigsten Sprachen erstellt, um den unbegleiteten Minderjährigen das Thema einfach zu erklären.